Das ist die bisher schwerste Buchrezension für ein Eisrezept-Buch, die ich je verfassen musste. Das liegt zum einen daran, dass es unser Credo ist, aus jedem vorgestellten Buch mindestens ein Rezept auszuprobieren, damit wir wirklich sehen können, ob die Rezepte schlüssig sind und wie das fertige Eis letztendlich schmeckt.
Hier fing das Problem schon an: Ich habe mich für den Klassiker „Vanilleeis“ entschieden, im Buch kombiniert mit Kakaobutter und Kakaonibs (Seite 36). Von den sieben erforderlichen Zutaten hatte ich drei im Haus, die restlichen vier (Cashewmus, Kakaobutter, Guarkernmehl sowie Kakaonibs) schlugen sich mit knapp 40 Euro an der Kasse nieder. Da musste ich schon schlucken. Das fertige Eis schmeckte dann auch so, wie veganes Eis oft schmeckt, wenn es Sahneeis imitieren will: Wässrig und fade (und das, obwohl ich statt der halben Vanilleschote schon eine ganze verwendet habe).
Aber mal einen Schritt zurück: Was unterscheidet das Buch „Superfood-Eis“* von Kerstin Pooth und Astrid Sass von anderen Eis-Büchern? Das Superfood!
Als Superfood werden laut dem Buch „pflanzliche Lebensmittel bezeichnet, die einen überdurchschnittlich hohen Nährstoffgehalt aufweisen“. So weit, so einfach. In der Liste der Superfoods finden sich exotische Trend-Namen wie die Acai-Beere, Camu-Camu, Chiasamen, Gojibeeren, Lucuma oder Maca. Erstaunt hat mich aber, dass auch eine lange Liste von Früchten und anderen durchaus üblichen Eiszutaten wie Ananas, Apfel, Bananen, Blaubeeren, Cashews, Erdbeeren, Himbeeren, Kakao, Kokosnuss, Mandeln, Mango, Orangen, Pistazien, Vanille, Zimt und Zitronen als Superfood gehandelt werden. Da hätte ich auch gleich jedes meiner Frucht- oder Nusseis-Sorten als „Superfood-Eis“ bewerben können.
Um es uns nicht zu einfach zu machen, wollen die beiden Autorinnen jedoch auf Milchprodukte und Eier (wegen Unverträglichkeit von Kerstin Pooth) sowie auf Industriezucker (ohne Begründung, ist vermutlich einfach uncool) verzichten. Das führt dazu, dass alle 44 Rezepte im Buch vegan sind. Interessanterweise wird das an keiner Stelle im Buch erwähnt, was mir sogar ganz symphatisch ist.
Was mir jedoch beim Lesen so richtig auf die Nerven ging – und damit sind wir beim zweiten Punkt, welcher mir die Rezension so erschwert – ist die Erhöhung der vorgestellten Eiscreme-Rezepte, als wären sie Medizin und kein Genussmittel. Allein die Aufteilung der fünf Kapitel spricht Bände: „Happiness“, „Energizing“, „Immun-Boost“, „Detox“ und „Anti-Aging“.
Gegen Happiness sage ich nichts, denn kaum jemand mag widersprechen, dass Eis Glücksgefühle verursachen kann. Aber Stärkung der Abwehrkräfte, entgiften und entschlacken sowie eine Frischzellenkur, nur durch das Eis essen? Das könnte ich mit einem Augenzwinkern vielleicht akzeptieren, aber die Autorinnen meinen das wirklich ernst.
Das „Casheweis mit Maca“ soll für „Sex-Appeal“ sorgen, weil die enthaltenen Tonkabohnen „hypnotisch-erotisierend“ und das Maca „aphrodisierend“. Das „Apfeleis“ sorgt für „Zellschutz und stärkt das Immunsystem“. Das „Chia-Pflaumen-Sorbet“ soll wegen ein paar Gramm Chia-Samen den „Muskelaufbau unterstützen“ und den Proteinshake nach dem Fitnesstraining ersetzen. Das „Aprikoseneis mit Maulbeeren“ soll „verdauungsfördernd“ sein und „vor Viren und Bakterien schützen“. Das „Avocado-Eis mit Limette“ soll „gegen Stress helfen und Magen und Darm unterstützen“. „Kokoseis mit Kurkuma“ soll entgiftend wirken sowie den Zellschutz fördern. Ein „Acaisorbet“ soll angeblich die „Alterungsprozesse verlangsamen“ und „so die Haut länger jugendlich erhalten“. Selbst ein simples Erdbeereis wird als Schlankmacher verkauft, weil, nun ja, Erdbeeren wenig Kalorien und einen hohen Wasseranteil haben. Die Kalorien der Banane und vom Reisdrink und den Zucker vom Datteldicksaft, welche ebenfalls im Rezept enthalten sind, können anscheinend ignoriert werden.
Stellenweise konnte ich nicht anders als das Buch als Parodie auf den Gesundheitswahn zu lesen. Deshalb hier einige klarstellende Worte: Nur weil in einem Eis Agavendicksaft, Honig, Datteldicksaft oder Birkensüße statt Raffineriezucker enthalten sind, wird es der Körper immer noch als „zuckerhaltige Kohlenhydrate“ verarbeiten. Eis macht nicht dünn, jünger oder verbrennt Fett! Eiscreme ist ein Genussmittel, keine Medizin!
Wer abnehmen will, sollte Sport treiben und auf eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung achten, statt Eiscreme als Wundermittel anzusehen. Eis ist kein Jugendbrunnen. Jeder wird älter, da ändern ein paar Acaibeeren nichts dran.
Das Buch ist eine einzige Augenwischerei.
Betrachten wir es nüchtern: Ich bestreite nicht, dass Obst in der Regel viele Vitamine und andere gesunde Stoffe enthält. Auch die ganzen Nüsse, Samen, Kräuter und Gwürze mögen nützliche Kräfte haben. Aber in der Menge, in der sie in den Eis-Rezepten verwendet werden, sind sie weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein. Und Kalorien, Kohlenhydrate, Fett und Zucker enthalten die Rezepte in der Regel trotzdem. Das wird dann in dem Buch wie beim „Walnusseis“ mit einem Satz weggewischt: „Über Kalorien wollen wir in einem Buch über Eis eigentlich nicht sprechen. Deswegen fangen wir auch bei Walnüssen nicht damit an“.
Soviel zur Theorie.
Wer die Rezepte in der Praxis nachmachen will, muss – siehe oben – richtig tief in die Tasche greifen, weil die ausgefallenen Zutaten viel Geld kosten. Selbst wenn ich ein Sorbet hätte probieren wollen, was traditionell weniger Zutaten benötigt, hätte ich so exotische Grundstoffe wie Camu-Camu-Pulver, Birkensüße oder Baobabpulver oder Stevia-Zucker parat haben müssen.
Auffälligerweise scheint das die jubelnden Fünf-Sterne-Rezensionen bei Amazon keineswegs zu stören. Da wird von den „einfachen, wenigen Zutaten“ und vom „Schlemmen ohne Sünde, ganz im Gegenteil – Schlemmen mit Genuss und deutlichem Wohlfühlfaktor.“ geschwärmt. Das klingt wie direkt aus einer PR-Fabrik.
Wer cremiges, traditionelles Eis liebt, sollte die Finger vom Buch lassen. Höchstens für Veganer, welche auf der Suche nach einigen exotischen Rezepten sind, mag das Buch eine Option darstellen. Alle anderen sollten lieber einige Runden mehr Joggen gehen und sich eine richtige Kugel Eis gönnen.
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Danke für diese sehr unterhaltsame und auf den Punkt bringende Rezension! 🙂
Danke für diese überzeugende Rezension!
Man sollte sich am besten nicht auf allen Schwachsinn einlassen. Die wenigen heute noch existierenden Naturvölker sind eher Allesfresser. So sind wir Menschen von der Natur her konzipiert - ausprobieren und geht oder eben nicht.
Für unter einer Mio. Veganer kann man schicke Kochbücher verfassen, aber denen stehen 20 Mio. Genießer entgegen. (Habe ich mal fix gegoogelt.)
Wenn es dann Leute gibt, die mit schlechtem Geschmack vegan glücklich sind - soll man sie doch lassen. Und wenn etwas Veganes gut schmeckt - warum nicht?
Ich habe diese Rezension ebenfalls sehr genossen und kann Ihre Auffassung nur unterstützen !